Bundesgerichtshof entscheidet über Schadensersatzansprüche gegen die Daimler AG im Zusammenhang mit
dem sogenannten „Thermofenster“

Urteile vom 16. September 2021 – VII ZR 190/20, 286/20, 321/20 und 322/20

Der unter anderem für Schadensersatzansprüche aus unerlaubten Handlungen, die den Vorwurf einer unzulässigen
Abschalteinrichtung bei einem Kraftfahrzeug mit Dieselmotor zum Gegenstand haben, zuständige
VII. Zivilsenat hat in vier gleichzeitig verhandelten Sachen über Schadensersatzansprüche gegen
die Daimler AG im Zusammenhang mit dem sogenannten „Thermofenster“ entschieden und hierbei die
klageabweisenden Entscheidungen der Vorinstanzen jeweils bestätigt.
Der Bundesgerichtshof hat mit seinen vier heute verkündeten Urteilen die Revisionen der Kläger
zurückgewiesen.

Das Berufungsgericht hat in allen vier Fällen einen Schadensersatzanspruch des jeweiligen Klägers aus
§ 826 BGB zu Recht verneint. Es hat zutreffend angenommen, das Verhalten der für die Beklagte handelnden
Personen sei nicht bereits deshalb als sittenwidrig zu qualifizieren, weil sie den in Rede stehenden
Motortyp aufgrund einer grundlegenden unternehmerischen Entscheidung mit einer temperaturabhängigen
Steuerung des Emissionskontrollsystems (Thermofenster) ausgestattet und in den Verkehr gebracht haben.

Dabei konnte zugunsten der Kläger in tatsächlicher und rechtlicher Hinsicht unterstellt werden,
dass eine derartige temperaturbeeinflusste Steuerung der Abgasrückführung als unzulässige Abschalteinrichtung
im Sinne von Art. 5 Abs. 2 Satz 1 der Verordnung (EG) Nr. 715/2007 zu qualifizieren ist. Denn der darin
liegende – unterstellte – Gesetzesverstoß wäre für sich genommen nicht geeignet, den Einsatz dieser
Steuerungssoftware durch die für die Beklagte handelnden Personen als besonders verwerflich erscheinen
zu lassen. Vielmehr würde die Annahme von Sittenwidrigkeit in diesen Fällen jedenfalls voraussetzen,
dass diese Personen bei der Entwicklung und/oder Verwendung der temperaturabhängigen Steuerung des
Emissionskontrollsystems in dem Bewusstsein handelten, eine unzulässige Abschalteinrichtung zu verwenden,
und den darin liegenden Gesetzesverstoß billigend in Kauf nahmen. Ein solches Vorstellungsbild der für die
Beklagte handelnden Personen hat das Berufungsgericht rechtsfehlerfrei verneint. Die hiergegen gerichteten
Rügen der Revisionen blieben erfolglos.

Unabhängig davon, dass schon damit der objektive Tatbestand der Sittenwidrigkeit des Verhaltens der für die
Beklagte handelnden Personen nicht gegeben war, hat das Berufungsgericht jeweils in revisionsrechtlich nicht
zu beanstandender Weise ein besonders verwerfliches Verhalten auch im Hinblick auf eine unsichere Rechtslage
bei der Beurteilung der Zulässigkeit des Thermofensters ausgeschlossen. Bei einer Abschalteinrichtung,
die – wie hier – im Grundsatz auf dem Prüfstand in gleicher Weise arbeitet wie im realen Fahrbetrieb und
bei der die Frage der Zulässigkeit nicht eindeutig und unzweifelhaft beantwortet werden kann, kann bei
Fehlen sonstiger Anhaltspunkte nicht ohne Weiteres unterstellt werden, dass die für die Beklagte handelnden
Personen in dem Bewusstsein handelten, eine unzulässige Abschalteinrichtung zu verwenden, und den darin
liegenden Gesetzesverstoß billigend in Kauf nahmen. Die Würdigung des Berufungsgerichts, die Rechtslage
hinsichtlich der Zulässigkeit eines Thermofensters sei zweifelhaft gewesen, war revisionsrechtlich nicht
zu beanstanden. Eine möglicherweise nur fahrlässige Verkennung der Rechtslage genügt aber für die
Feststellung der besonderen Verwerflichkeit des Verhaltens der Beklagten nicht.

Ebenso fehlte es an dem erforderlichen Schädigungsvorsatz. Allein aus der – unterstellten – objektiven
Unzulässigkeit der Abschalteinrichtung in Form des Thermofensters folgt kein Vorsatz hinsichtlich der
Schädigung der Fahrzeugkäufer. Im Hinblick auf die unsichere Rechtslage – hinsichtlich des unstreitig
in den Fahrzeugen der Kläger verbauten Thermofenster fehlt es bis heute an einer behördlichen Stilllegung
oder einem Zwang zu Umrüstungsmaßnahmen – war nicht dargetan, dass sich den für die Beklagte tätigen
Personen die Gefahr einer Schädigung des Klägers hätte aufdrängen müssen.

Die von den Klägern geltend gemachten Ansprüche ergeben sich auch nicht aus einem anderen Rechtsgrund.
Die Beklagte haftet insbesondere nicht gemäß § 823 Abs. 2 BGB i.V.m. § 6 Abs. 1, § 27 Abs. 1 EG-FGV oder
den Normen der Verordnung (EG) Nr. 715/2007. Wie der Bundesgerichtshof bereits in seinen Urteilen vom
25. Mai 2020 (VI ZR 252/19; vgl. Pressemitteilung Nr. 063/2020) und 30. Juli 2020 (VI ZR 5/20; vgl.
Pressemitteilung Nr. 101/2020) ausgeführt hat, liegt das Interesse, nicht zur Eingehung einer
ungewollten Verbindlichkeit veranlasst zu werden, nicht im Aufgabenbereich dieser Bestimmungen.
Die Revisionen gaben keinen Anlass, davon abzuweichen. Auch sonst sind im Streitfall keinerlei
Anhaltspunkte ersichtlich, dass der Gesetz- und Verordnungsgeber mit den genannten Vorschriften
einen Schutz der allgemeinen Handlungsfreiheit und speziell des wirtschaftlichen Selbstbestimmungsrechts
der einzelnen Käufer bezweckte und an die – auch fahrlässige – Erteilung einer inhaltlich unrichtigen
Übereinstimmungsbescheinigung einen gegen den Hersteller gerichteten Anspruch auf Rückabwicklung eines
mit einem Dritten geschlossenen Kaufvertrags knüpfen wollte.

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